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Zur Gedenkfeier für Verstorbene ohne Angehörige hatte die Stadt Leipzig in die Kapelle auf den Ostfriedhof, Oststraße 119, eingeladen. Die Trauerrede übernahm Siegfried Haller, Vorsitzender des Landesverbandes der Angehörigen psychisch kranker Menschen in Sachsen e.V. und erinnerte mit würdevollen Worten an die Verstorbenen.
Hier können Sie die Trauerrede nachlesen.

„Ich komme und weiß nicht woher
Ich gehe und weiß nicht wohin
Mich wundert, dass ich so fröhlich bin…
So heißt es seit Jahrhunderten im Volksmund, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Anwesende und Freunde!
Durch den Geburtskanal unsrer Mutter kommen wir auf diese Welt. Eine Gebärende empfängt uns, trägt uns aus, säugt und versorgt uns. Eine lange Zeit. Von Hebammen, Ärzten und Familie umsorgt. In der Regel.
Wir lassen einen Körper zurück, aus dem das Leben gewichen ist, wenn wir versterben. Wir trauern um den Verstorbenen. Seine Hülle soll in Würde bestattet werden. Erinnert soll er werden. In Achtung und mit Respekt vor seinem Dasein auf Erden. So verschieden die Rituale der Völker und Kulturen sein mögen. Der Abschied geschieht in der Gemeinschaft. In aller Regel.

Nun gedenken wir heute der Verstorbenen in Leipzig vom letzten Jahr, die von rechts wegen bestattet wurden. Von der zuständigen städtischen Behörde, wenn sich keine Angehörige finden, die  als Gruppe trauern.

Wir trauern heute nicht um unsere Angehörigen. Wir trauern um Menschen, die uns unbekannt waren. Wir wollen sie heute mit ihrem Namen aufrufen. Sie sollen kenntlich sein als Menschen wie du und ich. Ein Leben hatten sie, das einzig war ohne Vergleich. Besonders.  Einzigartig. Persönlich. Unwiederholbar. Auf ein künftiges gerichtet war ihr Leben von Anbeginn, wie wir alle es kennen. Beim Abschied waren sie ohne Angehörige. Wir sind heute an ihrer statt hier.
Herr, gib jedem seinen eigenen Tod.
Das Sterben, das aus jenem Leben geht,
Darin er Liebe hatte, Sinn und Not.

Liebe mögen unsere Verstorbenen ohne Angehörige haben erleben dürfen. Durch liebende Menschen. Für geliebte Menschen.

Sinn mögen sie erfahren haben in ihren Erdentagen. In der Natur, die uns umgibt. Und in den Angelegenheiten, die sie beschäftigten. Durch die Menschen, die ihnen wichtig waren. Im Tun und Denken. Beim Lernen und Arbeiten. In ihrer Freizeit. Und in dieser Stadt Leipzig, die sie nun beerdigt.

Not wird ihnen wohl nicht erspart geblieben sein in ihrem Leben. Last und Leid kennen wir alle. Zeiten der Not an Körper, Geist und Seele. An den Verhältnissen mögen sie gelitten haben, die uns zuweilen auch Schwererträgliches abverlangen. Am Verhalten ihrer Mitmenschen mögen sie sich gerieben haben. Enttäuschung oder gar Verzweiflung bereitet dritten.

O Herr, noch sind wir im Leben drin
mit unserm Streben bis zum Sterben hin.
Worin wir Not erleiden,
Liebe geben und finden wollen
unseren eigenen Sinn.

Ein schwedisches Märchen illustriert eindrucksvoll den Gedanken „Leben ist auf Kommendes aus“:
An einem schönen Sommertag um die Mittagszeit war große Stille am Waldrand. Die Vögel hatten ihre Köpfe unter die Flügel gesteckt, und alles ruhte. Da streckte der Buchfink sein Köpfchen hervor und fragte: „Was ist eigentlich das Leben?“ Alle waren betroffen über diese schwierige Frage.
Die Heckenrose entfaltete gerade eine Knospe und schob behutsam ein Blatt ums andere heraus. Sie sprach: „Das Leben ist eine Entwicklung.“ Weniger tief veranlagt war der Schmetterling. Er flog von einer Blume zur anderen, naschte da und dort und sagte: „Das Leben ist lauter Freude und Sonnenschein.“
Drunten im Gras schleppte mühte sich eine Ameise mit einem Strohhalm, zehnmal länger als sie selbst und sagte: „Das Leben ist nichts als Arbeit und Mühsal.“ Geschäftig kam eine Biene von einer honighaltigen Blume auf die Wiese zurück und meinte dazu: „Das Leben ist ein Wechsel von Arbeit und Vergnügen.“ Wo so viele weise Reden geführt wurden, streckte der Maulwurf seinen Kopf aus der Erde und brummte: „Das Leben ist ein Kampf im Dunkeln.“
Nun hätte es fast einen Streit gegeben, wenn nicht ein feiner Regen eingesetzt hätte, der sagte: „Das Leben besteht aus Tränen, nichts als Tränen.“ Dann zog er weiter zum Meer. Dort brandeten die Wogen, warfen sich mit aller Gewalt gegen die Felsen und stöhnten: „Das Leben ist wie ein vergebliches Ringen nach Freiheit.“
Hoch über ihnen zog majestätisch der Adler seine Kreise. Er frohlockte: „Das Leben? Das Leben ist ein Streben nach oben.“ Nicht weit vom Ufer entfernt stand eine Weide. Sie hatte der Sturm schon zur Seite gebogen. Sie sagte: „Das Leben ist ein Sich-Neigen unter einer höheren Macht.“
Dann kam die Nacht. Mit lautlosen Flügeln glitt der Uhu über die Wiese dem Wald zu und krächzte: „Das Leben heißt: die Gelegenheit nutzen, wenn andere schlafen.“ Und schließlich wurde es still im Wald und Wiese. Nach einer Weile kam ein junger Mann des Weges. Er setzte sich müde ins Gras, streckte dann alle Viere von sich und meinte, erschöpft vom vielen Tanzen und Trinken: „Das Leben ist das ständige Suchen nach Glück und eine lange Kette von Enttäuschungen.“ Auf einmal stand die Morgenröte in ihrer vollen Pracht auf und sprach: „Wie ich, die Morgenröte, der Beginn eines neuen
Tages bin, so ist das Leben der Anbruch der Ewigkeit.“
Bei aller Freude und aller Mühsal, bei allem Kampf und allem Dunkel, bei aller Lust und allen Tränen ist unser Leben auf die Ewigkeit hin angelegt. Leben ist Anbruch und Aufbruch, Leben ist auf Kommendes aus, ein echtes Abenteuer.

Begrabe Dein eigenes Leben in andrer Herzen hinein.
So wirst Du, ob auch ein Toter, ein ewig Lebender sein…..

Zum Gedenken für die heute mit dem Namen Aufgerufenen bitte ich Sie, sich zu erheben. Den Grabweg wollen wir nun gemeinsam gehen.“